Deutsches Aktieninstitut e.V. / Schlagwort(e): Sonstiges
06.09.2012 / 10:09
Dr. Marcus Schenck
'ESM per Saldo ein vertretbares und geeignetes Instrument zur Stabilisierung der Euro-Zone'
Uta-Bettina von Altenbockum, Finanzplatz
Mit der 2011 von der Bundesregierung ausgerufenen Energiewende haben sich die Rahmenbedingungen für die Energieversorger in Deutschland einschneidend verändert. Statt Atomkraftwerken sollen jetzt in zunehmendem Umfang Wind- und Sonnenkraftwerke den Energiebedarf in Deutschland decken. Über die Herausforderungen, die sich von dieser neuen Ausrichtung der Energiepolitik ergeben, wo sich neue Wachstumschancen bieten und warum die SE die richtige Rechtsform für den Energiekonzern E.ON ist, spricht Markus Schenck, Finanzvorstand von E.ON, im Interview mit dem Finanzplatz.
Interview mit Dr. Marcus Schenck, CFO, E.ON AG
Herr Schenck, nach der Atomkatastrophe in Fukushima hat die Bundesregierung im Juni 2011 ein zweites Mal den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Für E.ON folgte darauf ein schwieriges Jahr, doch jetzt scheint es wieder aufwärts zu gehen. Wie hat E.ON die Trendwende geschafft? Was bleibt noch zu tun?
Fukushima war ein einschneidendes Ereignis und es hat uns gezeigt, welche Verantwortung uns als Energieversorger obliegt. Auf unser bestehendes Geschäft wirkt sich der kurzfristige Ausstiegsbeschluss natürlich nachhaltig aus. Die wirkliche Herausforderung ist jedoch das politische Signal einer eingeschränkten Verlässlichkeit in den regulatorischen Rahmenbedingungen. Und das sehen wir in vielen europäischen Ländern. Flexibler auf sich ändernde Markt- und regulatorische Rahmenbedingungen reagieren zu können, ist daher ein Ankerpunkt in unserer strategischen Neuausrichtung. Mit der Umstrukturierung und Verschlankung des Konzerns haben wir hier einen wichtigen Schritt getan. Des Weiteren machen Geschäftsfelder wie Outside Europe, Climate & Renewables oder aber die neugegründete Einheit Connecting Energies für dezentrale Energielösungen unseren Konzern zukunftsfähiger. Allerdings bleibt viel zu tun: Um nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir auch langfristig unsere Kostenbasis senken.
Der unvermittelte Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland stellt für E.ON eine große finanzielle Belastung dar. Während andere Wettbewerber jetzt der Atomenergie generell abschwören, will E.ON außerhalb Deutschlands durchaus an Atomkraft festhalten. Wieso? Ist der Bau von Atomkraftwerken heutzutage überhaupt noch rentabel?
Der Atomausstieg in Deutschland hat unser Ergebnis stark belastet und er hat uns gezeigt, dass unser politisches Risiko in den vermeintlich stabilen Ländern vielleicht sogar größer ist als beispielsweise in neuen, den Developing Markets. Daher haben wir beschlossen, von dem Nuklearprojekt Horizon in Großbritannien Abstand zu nehmen und andere strategische Investitionen zu forcieren.
Die Energiewende soll vor allem durch den Einsatz regenerativer Energien verwirklicht werden. E.ON plant eine große Offshore-Windanlage Amrumbank West. 80 Windkraftanlagen sollen den Strom für 300.000 Haushalte produzieren. 2015 soll der Windpark ans Netz gehen. Wie realistisch ist das, wenn man bedenkt, dass der Netzausbau eher zögerlich vorankommt?
Tatsächlich ist der Netzausbau das kritische Thema bei der Energiewende. Für unseren 288 MW Windpark Amrumbank gibt es aber keine Verzögerungen für die Fertigstellung 2015. Wir hatten noch vor unserer Investitionsentscheidung einen Zeitplan für den Netzanschluss vom zuständigen Netzbetreiber Tennet erhalten, der mit fast vier Jahren zwar eine längere Lieferfrist vorsieht als von uns gewünscht, den wir aber bei unserer Investitionsentscheidung und in unserem Bauablauf berücksichtigen konnten. Wir sind mit dem Netzbetreiber und den Behörden in ständigem Kontakt und die Planungen verlaufen bisher im anvisierten Zeitrahmen, sodass wir im Sommer 2015 Offshore-Windstrom ins deutsche Netz einspeisen können werden.
Ende 2009 hat E.ON sein Stromnetz auf Verlangen der EU-Kommission an das niederländische Unternehmen Tennet verkauft. Der Netzbetreiber Tennet scheint allerdings mit den anstehenden Investitionen in den Netzausbau überfordert zu sein und fordert finanzielle Unterstützung. War es ein Fehler der Kommission, die europäischen Energiekonzerne zum Verkauf ihrer Stromnetze zu zwingen, oder ist E.ON vielleicht ganz froh, den finanziellen Belastungen durch den Netzausbau entkommen zu sein?
Nein, wir haben damals die Desintegration des Transportnetzes unterstützt und stehen auch heute noch dahinter. Durch die Zusammenführung der Netze von Tennet und transpower entstand zudem das erste grenzüberschreitende Stromübertragungsnetz in Europa. Dies war ein wichtiger Schritt zur Integration des europäischen Elektrizitätsmarktes. Nachhaltige Investitionen müssen getätigt werden, und da kann ein fusioniertes Transportnetzunternehmen Skalenerträge heben.
Neben den regenerativen Energien brauchen wir auch neue konventionelle Kraftwerke, die die Grundlast sichern. Dabei ist jedoch zweifelhaft, ob sich diese neuen Kraftwerke wegen des Vorrangs von Sonnen- und Windstrom überhaupt rechnen. Was muss getan werden, damit die Versorger wieder in Kraftwerke investieren? Wie kann man die Akzeptanz solcher Projekte bei der Bevölkerung verbessern?
Was Sie beschreiben, ist richtig: Bei den momentanen Spreads rechnen sich Neuinvestitionen nicht. Im Gegenteil, zahlreiche europäische Kraftwerke schreiben Verluste. Niemand baut heute ein neues Kraftwerk auf Basis der aktuellen Preise. Es wird zu Stilllegungen kommen. Dann können sich auch die Preise wieder normalisieren. Sollte der Markt auch mittel- bis langfristig keine ausreichenden Signale setzen, um Kapazitäten zu bauen, die für die Versorgungssicherheit erforderlich sind, wird sich die Politik Wege überlegen müssen, wie sie den Strommarkt incentiviert.
Im April hat E.ON ein Joint Venture mit dem brasilianischen Versorger MPX vereinbart. Brasilien gilt neben Indien und der Türkei als wichtiger Wachstumsmarkt für E.ON. Welche Wachstumschancen bieten sich für E.ON in diesen doch sehr unterschiedlichen Ländern?
Diese Länder haben eines gemeinsam: Sie weisen eine wirtschaftliche Entwicklung auf, von der wir hier in Europa nur träumen können. Und eine sichere Elektrizitätsversorgung ist Grundvoraussetzung für weiteres dynamisches Wachstum. Beispiel: Für Brasilien rechnen wir mit einer Zunahme der Elektrizitätsnachfrage von durchschnittlich 5% p.a., wohingegen wir in Europa mit einer insgesamt stagnierenden Entwicklung rechnen. Hier kann E.ON einen wichtigen Beitrag leisten. Das Joint Venture mit MPX ist auf unserem Weg, mehr in Wachstumsmärkte zu investieren, ein wichtiger Schritt. Das Potenzial in diesen Märkten ist groß, und wir haben es uns als Ziel gesetzt, bis zum Ende der Dekade circa 25% unserer Geschäfte außerhalb von Europa zu tätigen.
Nach dem Beschluss der Hauptversammlung im Mai wird E.ON in eine Societas Europaea (SE) umgewandelt werden. Vor allem das europäische Image und die bessere Einbindung der Belegschaft im europäischen Ausland werden von deutschen Unternehmen immer wieder als Umwandlungsgründe genannt. Warum ist für viele deutsche Konzerne die SE eine attraktive Rechtsform, nicht aber für Konzerne in anderen EU-Staaten?
E.ON ist in den letzten Jahren immer internationaler geworden. Heute sind wir in vielen Ländern Europas und auch weltweit tätig. Mittlerweile ist mehr als die Hälfte unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausland beschäftigt. Dies soll sich künftig auch im Namen von E.ON zeigen. Neben diesem eher äußerlichen Aspekt gibt es aber auch eine Reihe von inhaltlichen Vorteilen der Umwandlung in eine SE. Wir sind davon überzeugt, dass mit dieser Gesellschaftsform eine Stärkung der Governance und eine höhere Effizienz und Effektivität der Aufsichtratsarbeit verbunden ist. Die Umwandlung in eine SE führt dazu, dass sich die Internationalisierung des Konzerns auch im gesamten Aufsichtrat widerspiegeln wird. In Zukunft können die Mitarbeiter in ganz Europa ihre Vertreter im Aufsichtsrat von E.ON mitbestimmen und erhalten damit erstmals eine adäquate Möglichkeit, die Geschicke des Unternehmens mitzugestalten.
Neben der Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts (REMIT) greifen jetzt auch die MiFID II und die dazugehörige Verordnung (MiFIR) in den Energiehandel ein mit dem Ziel, die Transparenz in diesem Bereich zu verbessern. Welche Regelungsbereiche der MiFID/MiFIR sehen Sie kritisch?
Wir teilen das Ziel, im Energiehandel größere Transparenz herzustellen. Bezüglich MiFID/MiFIR sehen wir eine zentrale Bedeutung in der Ausnahmeregelung für Nicht-Finanzinstitute. Unternehmen, die den Energiehandel in erster Linie zur Absicherung ihres Kerngeschäfts betreiben – in unserem Fall vor allem zur Absicherung von Risiken aus dem Betrieb von Stromerzeugungsanlagen -, sollten auch weiterhin nicht wie systemrelevante Finanzinstitute betrachtet werden und nicht die entsprechenden Kapitalanforderungen erfüllen müssen. Unter der derzeit gültigen Regulierung wird dem Rechnung getragen.
Herr Schenck, die Finanz- und Staatsschuldenkrise geht in ihr fünftes Jahr. Die Rettungsschirme werden immer größer, doch ein Ende der Krise ist nicht abzusehen. Der Verband der deutschen Familienunternehmen hat den ESM abgelehnt, weil die Risiken, die für Deutschland daraus erwachsen, zu groß seien. Die Gegenseite argumentiert, dass ohne ESM die Risiken für Deutschland unübersehbar seien. Was ist Ihre Ansicht?
Die Risiken aus der europäischen Finanz- und Schuldenkrise sind ohne Zweifel erheblich. Nach kurzfristigen Krisenmaßnahmen bedarf es weiterer Instrumente, die längerfristig wirken können. Dazu gehört der ESM.
Natürlich sind seine Haftungsrisiken auch für Deutschland nicht zu unterschätzen. Die Risiken aus einem Auseinanderbrechen des Euro halte ich jedoch zumindest kurzfristig für noch größer. Deutschland hat bisher stark vom Euro profitiert, und dies soll auch für die Zukunft gelten. Deshalb halte ich den ESM trotz der damit verbundenen Risiken/Belastungen per saldo für ein vertretbares und geeignetes Instrument zur Stabilisierung der Euro-Zone. Jedoch muss auch klar sein: Damit einhergehen muss zwingend eine angemessene Konditionierung der Hilfen, insbesondere die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte der unterschiedlichen Nationalstaaten. Dies ist ohne Zweifel ein höchst anspruchsvolles politisches Projekt, ohne das ich mir ein geeintes Europa jedoch langfristig nicht vorstellen kann.
Aufgrund der an den Kapitalmärkten herrschenden Unruhe wurden in diesem Jahr wieder größere Börsengänge abgesagt. Wie sehen Sie die aktuellen Finanzierungsmöglichkeiten deutscher Unternehmen an den Kapitalmärkten?
Die Kapitalmärkte sind in der Vergangenheit und zuletzt bedingt durch die europäische Schuldenkrise in Summe sicherlich volatiler geworden.
Die Investoren sind auch insgesamt selektiver geworden, so dass zusätzlich zur allgemeinen Marktverfassung insbesondere die individuellen Umstände eines Unternehmens den Zugang zu den Kapitalmärkten determinieren. Gerade vor diesem Hintergrund ist langfristig ein solides Rating wichtig: Es erlaubt uns, selbst in Krisenzeiten jederzeit Kapital aufnehmen zu können.
Auf den Fremdkapitalmärkten ist die gute Bonität Deutschlands derzeit eindeutig von Vorteil für lokale Emittenten. Gerade große und bonitätsstarke Unternehmen können sich aktuell zu attraktiven Konditionen finanzieren – Fremdkapital ist für solide Unternehmen wie E.ON aktuell historisch günstig.