Markt für Börsengänge 2022 eingebrochen – Belebung im Jahresverlauf 2023 erwartet
- Nur ein Börsengang im Prime Standard 2022 nach zwölf im Vorjahr.
- Emissionsvolumen steigt dennoch um 6 Prozent auf 9,1 Milliarden Euro.
- Porsche mit größtem Börsengang in Deutschland seit der Deutschen Telekom.
- Bei Normalisierung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen erwartet Kirchhoff Consult mindestens 10 IPOs im Jahr 2023.
- Markt für neue Mittelstandsanleihen: Nur wenige Emissionen bei geringem Volumen.
Hamburg, 08. Dezember 2022 – In Deutschland sind im Jahr 2022 so wenige Unternehmen an die Börse gegangen wie zuletzt während der Finanzkrise 2009. Der Börsengang der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG war der einzige im Prime Standard. 2021 waren es noch zwölf Börsengänge, von denen drei ein Emissionsvolumen in Milliardenhöhe erzielten. Dennoch stieg das Gesamtemissionsvolumen um 6 Prozent auf rund 9,1 Milliarden Euro (2021: 8,6 Milliarden Euro). Nach dem Börsengang der Deutschen Telekom war der Porsche-IPO der größte Börsengang, der jemals in Deutschland durchgeführt wurde.
Klaus Rainer Kirchhoff, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Kirchhoff Consult AG: „Auch wenn Porsche als erhoffter Eisbrecher sehr erfolgreich mit einem Volumen von über 9 Milliarden Euro an die Börse ging, fiel das IPO-Jahr 2022 nach dem Beginn des Russland-Ukraine-Krieg de facto aus. Die weltpolitische Instabilität zog einen Einbruch an den Aktienmärkten nach sich. Schwaches Wirtschaftswachstum, hohe Inflation und steigende Zinsen ließen kein offenes IPO-Fenster zu. Investoren verhielten sich zudem nach kräftigen Kursverlusten bei den Emittenten des Vorjahres zurück und warten eine stabilere Lage ab.“
Porsche-Aktie mit +25,8 % seit IPO
Die Porsche-Aktien verbuchten seit dem Börsengang ein Kursplus von 25,8 Prozent (Stand: 05.12.2022) und stiegen damit stärker als der DAX 40, der im selben Zeitraum 20,6 Prozent zulegte. Seit Jahresbeginn hingegen verlor der DAX 40 rund 9,1 Prozent. Beim Jahrestiefstkurs am 29. September, dem Tag des Porsche-IPOs, lag der DAX sogar 24,6 Prozent im Minus. Insgesamt war der Handel an den deutschen Aktienmärkten von großer Unruhe geprägt. Mit dem Beginn des Russland-Ukraine-Krieges im Februar sanken die Aktienkurse deutlich, erholten sich aber im März wieder. In den folgenden Monaten war der Aktienhandel von weltweit gesenkten Wirtschaftsprognosen, hoher Inflation, Zinserhöhungen durch die Zentralbanken und hohen Energiepreisen geprägt. Dennoch konnten zahlreiche deutsche Unternehmen ihre Gewinnprognosen im Laufe des Jahres erhöhen. Seit Mitte Oktober setzten die Aktienmärkte zu einer Jahresendrallye an.
EV Digital Invest mit kleinem IPO im Scale Segment
Die unsichere Lage setzte auch dem Scale, dem Wachstumssegment der Deutschen Börse zu. EV Digital Invest AG gelang Anfang Mai mit einem Volumen von 6,3 Millionen Euro der einzige Börsengang in diesem Segment. Im Vorjahr warben zwei Unternehmen insgesamt 137 Millionen Euro ein. Nur das Jahr 2019, als kein Unternehmen in diesem Segment an die Börse ging, verlief für dieses junge Segment schlechter.
Zwei SPACs erlösen insgesamt 353,8 Millionen Euro und notieren im General Standard
Im Jahr 2022 wurden zudem mit der SMG European Recovery SPAC SE und 468 SPAC II SE zwei SPAC-Börsengänge im General Standard durchgeführt. Die beiden Mantelgesellschaften erzielten ein addiertes Emissionsvolumen von 353,8 Millionen Euro (2021: 925 Millionen Euro) und haben noch kein geeignetes Übernahmeziel gefunden.
Drei Notierungsaufnahmen im Prime Standard und Scale
In diesem Jahr fanden zudem drei Notierungsaufnahmen statt. ADTRAN Holdings Inc. ließ sich im Prime Standard notieren. Das Unternehmen ist auf Kommunikationslösungen spezialisiert und hat die notierte ADVA Optical Networking SE übernommen. Zudem wurden die Cantourage Group SE (Cannabis) und Advanced Blockchain AG (Software) im Scale gelistet.
Mittelstandsanleihen mit erheblichem Rückgang
Am Markt für neue Mittelstandsanleihen wurden bis Ende November 13 neue Anleihen begeben – im Gesamtjahr 2021 waren es noch 29. Das Gesamtemissionsvolumen belief sich auf 327,6 Millionen Euro – ein Rückgang um 76,6 Prozent (2021: 1,40 Milliarden Euro). Bis Jahresende könnten weitere Neuemissionen folgen, das Vorjahresniveau wird aber aller Voraussicht nach nicht erreicht werden können. Der Anteil der Vollplatzierungen sank gegenüber dem Vorjahresniveau deutlich auf 46 Prozent (2021: 59 Prozent). Zugleich erreichten die Unternehmen insgesamt nur 61,5 Prozent des angestrebten Zielvolumens und damit weniger als im Vorjahr (2021: 90 Prozent). Der durchschnittliche Kupon stieg um 0,5 Prozentpunkte auf 6,2 Prozent. In diesem Jahr endete zudem der Immobilienboom bei den Anleihen. Nur zwei Anleihen kamen aus diesem Sektor, während Anleihen aus dem Sektor der Erneuerbaren Energien mit vier Emissionen am stärksten vertreten waren.
Belebung bei Börsengängen in 2023 erwartet
Nachdem bereits in der zweiten Jahreshälfte 2021 zahlreiche Börsengängen abgesagt oder verschoben wurden, setzte sich diese Entwicklung 2022 fort. Viele dieser Unternehmen werden die Gelegenheit zum Börsengang nutzen, sobald sich ein Fenster am Kapitalmarkt ergibt. Laut offiziellen Informationen und Marktgerüchten gibt es eine lange Kandidaten-Pipeline für Börsengänge im Jahr 2023 mit derzeit rund 100 potenziellen Emittenten. Darunter befinden sich Fintechs wie Solaris und Abspaltungen von Konzernen wie Ionos (Webhosting, United Internet) und Thyssenkrupp Nucera (Wasserstoff, Thyssenkrupp) sowie Unternehmen aus dem Bereich Erneuerbare Energien.
Sofern sich der Aufschwung der Aktienkurse fortsetzt und die Risiken durch den Russland-Ukraine-Krieg, Energieknappheit, Inflation und steigende Zinsen abmildern, dürfte sich das Fenster für Börsengänge 2023 wieder öffnen. Analysten gehen davon aus, dass der DAX bis Jahresende 2023 wieder auf über 15.000 Punkte steigt.
Kirchhoff Consult erwartet unter diesen Bedingungen für das Jahr 2023 eine Belebung bei den IPO-Aktivitäten. Neben Private-Equity-getriebenen Emissionen erwartet Kirchhoff Consult auch wieder mehr kleine und mittlere Unternehmen bei den Neuzugängen.
Jens Hecht, Vorstand der Kirchhoff Consult AG: „Investoren haben inzwischen höhere Anforderungen an Emittenten entwickelt. Neben der Darstellung der Profitabilität oder eines plausiblen Weges dahin, rücken die ESG-Kriterien stärker in den Fokus. Aussichtsreiche Unternehmen bereiten sich bereits intensiv vor, um mit einer überzeugenden Equity Story das nächste IPO-Fenster zu nutzen. Wir rechnen daher mit mindestens 10 Börsengängen im Jahr 2023.“
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